Bollywhat? in Marokko
Bollywood global. Die Buchautorin Birgit Pestal (Faszination Bollywood. Zahlen, Fakten und Hintergründe zum „Trend” im deutschsprachigen Raum) ist auf der Suche nach Bollywood im Nahen Osten. Der erste Teil ihrer Reise führt sie nach Marokko.
Bollywhat? Das ist die gängige Antwort der meisten Marokkaner, sobald das Wort „Bollywood” fällt. Nein, in Marokko gibt es kein Bollywood: „Indian movies” lautet das Zauberwort. Shah Rukh, Amitabh, Aishwarya, Juhi, Preity – sie alle sind hier beliebt und bekannt. „Ein wahre Invasion indischer Filme hat eingesetzt”, meint Mohammed, der seit 1988 Manager des gut 90 Jahre alten „Idan Cinema” (anfangs ein Freiluftkino) in Marrakesch ist. Eben gerade läuft die relativ gut besuchte Nachmittagsvorstellung von „Paheli”(2005) in Hindi mit arabischen Untertiteln. Ein Ticket kostet 8 Dirham, weniger als einen Euro. Für einen Sitzplatz am Balkon zahlt man 2 Dirham mehr. Die Stimmung und das Umfeld erinnern unweigerlich an alte, heruntergekommene indische Kinos. Jeden Tag gibt es hier, wie auch in vielen anderen marokkanischen Kinos, neben amerikanischen und marokkanischen immer auch ältere und neue indische Masalafilme zu sehen. Unweit entfernt, im „Cinema Mabrouka”, drängt sich heute ein vorwiegend (eigentlich ausschließlich) männliches Publikum am Ticketschalter um Rakesh Roshans „Karan Arjun” (1995) zu sehen. Es ist leicht mit den Wartenden ein Gespräch zu beginnen.
Das gemeinsame Interesse und die großen indischen Schauspieler fungieren als ultimative kulturelle Eisbrecher. Da ich als hellhäutige Europäerin Shah Rukh Khan und Salman Khan auseinander halten kann, ernte ich zutiefst erstaunte Blicke. Indische Stars, Musik und Filme benennen zu können, lohnt sich schon alleine dieser strahlenden Gesichter wegen. „In der Wüste haben wir keine Kinos, da haben wir Kamele”, witzelt Abdul (20), ein aus der Sahara kommender Kino-Besucher auf meine Frage hin, ob er zuhause auch indische Filme sieht. „Ich habe noch nie jemanden aus Europa getroffen, der auf indische Filme steht”, sagt der Touristenführer Taufiq (26), der „Kuch Kuch Hota Hai” mindestens 50 mal gesehen
hat, voller Begeisterung. „Die Filme sind nah an meiner Lebenswelt, ich glaube das ist der Grund warum ich sie so mag- und sie sind wunderbar emotional”, meint er weiter. Ein Film, den hier wirklich jeder zu
kennen scheint, ist der Klassiker „Baazigar” (1993). Der Film lief mit ununterbrochenem Erfolg wochenlang in den Kinos (z.B. in dem stadtbekannten, auf Bollywood spezialisierten „Rif Cinema”) und
erzielte nach marokkanischen Maßstab Rekordeinspielsummen.
Manch einer hier hat sich gar die Haare nach Shah Rukhs Vorbild schneiden lassen, wie z.B. Adlil (20), der von seinen Freunden auch Littleshahrukh genannt wird, nicht zuletzt weil er unentwegt Bollywoodmelodien singt und offenbar mehr Hindi als Englisch versteht.
Marokko ist ein Filmifanparadies.
In wenigen Tagen kann man sowohl „Jab we met” (2007), „Taxi 9211”
(2006) „Elaan” (2005), „Proud to be an indian” (2004), „Pardes” (1997),
„Darr” (1993), und „Vidhaata” (1982) in Kinos sehen – um nur ein
paar Beispiele herauszugreifen. In Agadir etwa, im „Cinema Sahara”
ist Bollywood ein zentraler Fixpunkt zwischen den Sparten Hollywood,
Kung Fu, Sport und Porno. Indische Klassiker werden hier immer wieder
gespielt, neuere Filme gibt es auch, aber die erscheinen mitunter erst nach
längerer Wartezeit. Raubkopien sind allerdings leicht erhältlich. In allen
marokkanischen Souks (Märkten) und in der Medina (Altstadt)gibt es
ein beachtliches Sortiment an VCDs mit arabischen, französischen und
manchmal englischen Untertiteln (für nur durchschnittlich 7
Dirham). Junge, Techno hörende Raubkopienhändler mit gegeltem
Haar, Sonnenbrillen und Lederjacken geben zu bei Veer-Zaara geweint
zu haben- oder werden von ihren Freunden verpetzt, als ich danach
frage. In Marokko gibt es Bollywood zudem wöchentlich im Sat-TV *
und auch in Form von bekannten Melodien, die in einigen Restaurants
rauf und runter gespielt werden.
Plakate alter Bollywoodfilme zieren jahrhundertealte Wände. „Chah
Rukh Khan” Music Compilations gibt es als VCD zu kaufen. Auch
bei den hiesigen Filmfestspielen tauchen immer wieder namhafte
indische Stars und Filme auf. Die Besuche von Amtiabh Bachchan,
Aamir Khan und Aishwarya Rai waren besonders beeindruckend für
viele Fans hier. Sie alle werden wie Helden gefeiert. „In Marokko und
ganz Nord-Afrika sind die Streifen aus Bombay ein Dauerbrenner”,
ist auf einem Dossier von ARTE nachzulesen. Und tatsächlich:
selbst in abgelegenen Berberdörfern mitten in den Bergen, finden sich
in Schaufenstern das von der Sonne ausgebleichte Konterfei von Shah
Rukh Khan. Marokko hält übrigens mitunter auch als Drehort für
indische Filme her. „Es gibt mehr Bollyphile in Marokko als je zuvor”, meinte
2006 ein marokkanischer Blogger namens Allal El Alaoui (http://
allal40.over-blog.com), der auch entsprechende Zahlen (via der
CCM/Rabat) recherchierte: Im Jahre 2003 importierte demnach
Marokko 378 Hindi Filme, die Anzahl der Kinozuschauer belief sich
auf rund 3,8 Millionen. 2006 waren es zu seinem Wehklagen nur noch
264 indische Filme, die importiert wurden. „Marokkanischen Film-
behörden wie die FIFM und die CCM sollten das Hindi-Kino, sowie
die Tatsache, dass Marokkaner diese Filme einfach lieben, dringend
ernster nehmen,” meint Allal.
Ein ähnliches Dilemma, das langjährige Bollywoodfans auch in
Zentraleuropa kennen: Hier wie dort gibt es unter manchen Fans
offenbar die Meinung, das Potential dieser Filme würde von den hiesigen
Distributoren und Behörden nicht hinreichend erkannt werden. In
Marokko ist es noch ein bisschen schlimmer, weil Marrakesch 2006
(dann scheinbar auch nochmal für 2008) als Favorit für die IIFAs
galt, was leider scheinbar an der marokkanischen Bürokratie
scheiterte. Yash Chopra besuchte Marrakesch 2005 und
stellte bei einem Spaziergang am „Djemna El Fna” (dem
UNESCO geschützten Hauptplatz) fest, dass es große Ähnlichkeiten
zwischen den Menschen und Traditionen Marokkos und Indiens
gibt. Schlangenbeschwörer, Zauberer, Geschichtenerzähler und
Henna- Tatoos gibt es beiderorts, aber die kulturellen
Gemeinsamkeiten gehen sicherlich noch viel tiefer, beispielsweise
was Moralvorstellungen oder die Bedeutung der Ehe betrifft: „Wenn
du als Muslim verheiratet bist, hast du schon die halbe Religion
erfüllt,” meint z.B. der Bergführer Rashid (30), der selbst zwar
wedermarokkanische noch indische Filme sonderlich mag, aber
dennoch basales Grundwissen über indische Stars und Titel
vorweisen kann.
Marokko hat eine lebendige Filmindustrie und auf den ersten
Blick scheinen arabische Filme den indischen durchaus sehr ähnlich.
Auch hier gibt es romantischste Liebesfilme mit zauberhaften
Soundtracks, witzigen Showeinlagen, Bauchtanz und sympathischen
Schauspielern, um nur ein paar der ganz schnell ersichtlichen Parallelen
festzuhalten. „Marokkanische Filme sind aber im Vergleich nicht so
gut”, meint auf diese Bemerkung hin der in Marrakesch lebende
Bollywoodfan Said (24). Sie seien zwar ähnlich, meint er, aber eben
nicht so ausgefeilt und attraktiv arrangiert.
Allerdings scheint es am Ende das ägyptische und nicht das
marokkanische oder indische Kino zu sein, das in den arabischen
Ländern weithin den Mainstream darstellt. Ägyptisches Arabisch wird
daher auch in Marokko, Algerien, Syrien, Libanon usw. gut verstanden.
Wie Bollywood in Ägypten gesehen wird, ist wieder eine andere
Geschichte, die aller Voraussicht nach im nächsten Heft erzählt wird.
Birgit Pestal
* Der Sender Infinity ist auch in
Deutschland zu empfangen. Bollywoodfilme
werden Freitags (15:00,
Zeitverschiebung berücksichtigen!) auf
Hindi mit arabischen/Hindi Untertitel
ausgestrahlt. Frequenzen: Hotbird 13
Grad Ost, Frequenz: 11747, Symb:27500
Pol: H)
Artikel als PDF:
journalism/bollywood_marokko.pdf
Kategorie: Birgits Publikationen, Bollywood, mediasphere