Ek Minute Read: Ist Bollywood schwul?
Autorin: Birgit Pestal alias Britta Spiegl
Erstveröffentlicht in Ishq, 2007, “Ek Minute Read” war eine Kolumne in dem deutschsprachigen Bollywood Monatsmagazin ISHQ
Was für eine dumme Frage. Obwohl… Bei uns werden Homosexuelle ja tatsächlich oft mit Klischees bombardiert, die auch im Hindifilm eine Rolle spielen: Maßlose Übertreibung, emotionale Ausführlichkeit, knallbunte Farben, Kitsch und noch mehr maßlose Übertreibung. Und tatsächlich gibt es bestimmte Konstellationen von gleichgeschlechtlichen Bollywood-Stars, die die Idee (sei es auch unabsichtlich) zumindest in den Raum stellen. Wie z.B. das Dreamteam Akshay Kumar und Saif Ali Khan, die in den 90ern zahllose liebevolle Begegnungen auf die Leinwand gebannt haben. Größen wie Karan Johar oder Salman Khan wird hinter vorgehaltener Hand Homo- oder Bisexualität unterstellt, wenn auch kaum oder niemals in den Medien. Im Fall von Karan Johar ist es so wie bei Amitabh Bachchan und dem berühmten Toupet. Jeder weiß es, aber man spricht nicht darüber. Dennoch ist die Antwort auf die Frage: Nein. In Bollywood findet Homosexualität nicht statt. Weder im Starsystem noch in den Filmen. 2004 gab es zwar den Bollywood-Skandal-Lesbenfilm Girlfriend, aber der war leider in seiner übertriebenen Darstellung sehr kontraproduktiv und führte zu Terroranschlägen auf Kinos. Homosexualität wird hier quasi als Geisteskrankheit angesehen. Insgesamt kam der Film den Leuten, die den Film verbieten wollten, entgegen.
Bollywood zeigt uns aber z.B. innige Freundschaften unter Männern oder witzige (bzw. witzig gemeinte) Szenen mit Anspielungen auf die schwule Lebenswelt. Im indischen Arthousekino gab es in den letzten Jahren wieder ein paar filmische Aufarbeitungsversuche des Tabu-Themas (zb. When Kiran met Karen, Can’t think Straight, Mango Souffle oder Pick Me). Zuvor war es Deepa Methas international erfolgreicher Film “Fire”, der für Aufmerksamkeit (inkl. Terroranschläge) sorgte.
Nach dem internationalen Erfolg von Brokeback Mountain wurde in Indien eine zeitlang über ein Bollywood-Remake spekuliert. Die Vorstellung einer Tanznummer mit zwei verliebten indischen Hirten wäre zwar verlockend, wer aber würde so einen Film wirklich machen? Ein Masala-Film ließe sich mit solch einem Stoff theoretisch schon andenken. Aber: In Indien spricht man nicht über das Thema. Homosexuelle gibt es zwar viele, aber diese schweigen und verstecken sich. Es bräuchte vielleicht etwas vom Kaliber Saif/Akshay und viel Dramatik und viel Humor um das Thema zu entschärfen. In Hollywood funktioniert es ja auch (und das trotz der homophoben Politik). Der einzige erfolgreiche Versuch, der in die Queer-Bollywoodgeschichte eingeht ist in Madhur Bhandarkars Page3, wo Bollywoodianer (eigentlich zum ersten Mal) einem homosexuellen Charakter vorurteilsfrei inszeniert begegnen können. „Ist es mein Fehler, wenn die Natur mich so gemacht hat?”, sagt der schwule Kostüm-Designer hier, nachdem er von Schwulenhassern verprügelt wurde.
Schwer (wenn auch möglich) eine andere Gesellschaft auf diesem Planeten zu finden, die mehr Angst vor gleichgeschlechtlicher Liebe hat. Im indischen Gesetz findet sich dazu Sektion 377: “Wer freiwillig unnatürlichen sexuellen Verkehr mit einem Mann, einer Frau oder einem Tier hat, soll mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren und Geldstrafe bestraft werden.” Verfasst 1861, von einem britischen Kolonialherren. Kriminalisiert werden hier alle Geschlechtsakte, die nicht der Zeugung von Kindern dienen. Schon seltsam, dass dieses Gesetz noch immer existiert und als Legitimation für Verhaftungen und Einschüchterungen sowie der allgemeinen Homophobie (die primär schwule Männer betrifft) herhält. Und die sitzt tief.
Nehmen wir z.B. den muslimischen Familienvater aus Lucknow namens N. Er ist der wohl weltoffenste Inder, der mir je begegnet ist. Beim Philosphieren ist er stets kritisch, heiter und redegewandt. Bis wir auf das Thema Homosexualität kommen. Also das geht ja gar nicht, meint er und plötzlich ist es aus mit der Weltoffenheit. Wir besichtigen gerade die Schlafsäle eines Buben-Internats in Nordindien. „Siehst du wie nah die Betten beieinander stehen? Hier würde ich meinen Sohn niemals herschicken.” Die Aussicht auf einen im Internat mangels anderer Alternativen zum Schwulsein verführten Sohn ist für N die reinste Horrorvision, obwohl er sonst sehr liberal denkt und sicher niemals solch ein Gesetz unterzeichnen würde. Im konservativen Denken ist die Angst und das Grausen so groß, dass Gesetze wie Sektion 377 immer noch fortbestehen (bzw. auch in modernen Gesellschaften reproduziert werden). Dem liegt ein simpler Denkfehler zu Grunde: dass der Mensch ernsthaft Gesetze über die Liebe machen kann.
Ek Minute Read: Ist Bollywood schwul? (PDF)
Kategorie: Birgits Publikationen, Bollywood