Ek minute Read: Namada
Autorin: Birgit Pestal alias Britta Spiegl
Erstveröffentlicht in Ishq, September 2007, “Ek Minute Read” war eine Kolumne in dem deutschsprachigen Bollywood Monatsmagazin
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Das letzte Mal als wir uns eine Minute Zeit genommen haben, ging es um Zensur in Indien. Aber, große Schande über mich, habe ich doch vergessen auf den Film „Fanaa” (2006) mit Aamir Khan einzugehen. Der durfte nämlich im westindischen Bundesstaat Gujarat nur in einem einzigen Kino unter Polizeiüberwachung ausgestrahlt werden. Die (inoffizielle) Zensur richtete sich dabei nicht gegen den Filminhalt sondern gegen die Person Aamir Khans. Seltsam? Nein – für indische Verhältnisse nicht. Das hat mit dem Narmada-Staudammprojekt zu tun, gegen das sich Aamir Khan scheinbar so eloquent geäußert hat, dass er im Ausland gleich mit Michael Moore verglichen wurde. Und das obwohl er ja gar nicht gegen das Projekt selbst, sondern „nur” für die betroffenen Menschen gesprochen hat – die da enteignet werden und doch vom Staat zumindest entsprechend vergütet werden müssten. Dabei…
Die Idee Wasser zu stauen um Energie zu gewinnen ist heute überaus umstritten. Es muss dabei bedacht werden, dass Menschen hier von der Wasserversorgung abgeschnitten werden, damit andere versorgt werden können. Das betrifft beim Narmada Damm vor allem die Menschen im Gujarat. Das gleiche brisante Problem haben wir gegenwärtig übrigens auch beim Ilisu- Damm in der Türkei: hier gibt es z.B. keine Abkommen mit Syrien und dem Irak über die Wasserfrage. Sollte der Ilisu-Damm gebaut werden wird sich das Wasser im Irak entscheidend verringern. Ergo: Dämme verschärfen die Wasserkonflikte auf der Erde. Aber nicht nur das…
Viele hundert Dörfer und tausende Hektar Land müssen im Rahmen des Narmada- Projekts geflutet werden. Flora und Fauna werden nachhaltig geschädigt und Menschenrechte werden verletzt. Hunderttausende, wenn nicht sogar Millionen Menschen müssen umgesiedelt werden. Große Teile der Bevölkerung in den Staaten Madhya Pradesh, Gujarat und Maharashtra wurden bereits im „öffentlichen Interesse” enteignet und vertrieben. Das nächste Problem ist, dass selbst wenn die Vertriebenen vom Staat mit Geld entschädigt werden, sie mit diesem Geld oft nichts Sinnvolles anzufangen wissen. Das Geld ist bald verbraucht und sie siedeln sich erst Recht in Slums an. Die finanzielle Vertröstung ist minimal und stellt keinen Ausgleich für den Verlust dar. Insofern war Aamirs Kundgebung ein sehr medienwirksames Ereignis, das erfolgreich Aufmerksamkeit auf diese Problematik gelenkt hat.
Der Staat erhofft sich mit Dämmen jedenfalls eine Verbesserung der Infrastruktur, neue Einnahmequellen durch Stromverkauf- also Fortschritt und Wohlstand. Aber es scheint, dass es vor allem die Dammbaugesellschaften, die Politik und die Bürokratie sind, die überhaupt jemals davon profitieren werden. Und eventuell die Tourismusbranche. Immerhin hat man da auf so einem Megadamm einen ganz wunderbaren Ausblick.
Im Kampf gegen Druck und Einschüchterung erhalten die Betroffenen Hilfe von insbesondere zwei großen Initiativen: die „Friends of the River Narmada” und „Narmada Bachao Andolan”. Außerdem gelang es der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy Aufmerksamkeit auf die Ungerechtigkeiten zu ziehen. Für Roy ist die Geschichte des Narmada-Dammes nicht nur die Geschichte des modernen Indiens, sondern von dem was heute auf der ganzen Welt passiert. Der Film „Dam/Age” (2002) dokumentierte ihren Kampf gegen das Projekt. Aber nun ist unsere Minute ja schon fast wieder um und wir haben nur an der Oberfläche gekratzt. Da wäre jedenfalls viel, dass Bollywoodschauspieler hätten tun oder sagen können. Schauspieler Anupam Kher war neben z.B. Subhash Ghai, Anil Kapoor und Ashutosh Gowarikar einer von denjenigen, die Aamir Khan damals in der Debatte gegen den Staat von Gujarat unterstützen. Er meinte: „Aamir tut dies nicht um seine Popularität zu steigern. Er fühlte mit den Menschen, die wegen der Konstruktion des Staudammes ein neues Zuhause brauchen. Und er sprach in ihrem Interesse. Daran ist doch nichts Falsches.” Bollywood stand jedenfalls hinter Aamir, so verlautbarte Rediff.com. Na immerhin.
Kategorie: Birgits Publikationen, Bollywood